Was entscheidet in einer Unternehmenskrise
über den Erfolg oder Misserfolg - und damit über Imageschäden und möglichen Reputationsverlust? Welches sind die entscheidenden Faktoren? Anhand aktueller Beispiele aus dem Airline-Bereich werden
die entscheidenden Erfolgsfaktoren der Krisenkommunikation sichtbar. Sie sind auf viele Unternehmen und Branchen übertragbar.
Von B. Miserre
Die 10 wichtigsten To Dos
Krisenprävention und Krisenmanagement sind, so grotesk es klingen mag, nicht nur Teil meines Jobs, sie sind meine Leidenschaft. Was mich daran reizt? Keine Krise ist vergleichbar mit einer anderen. Jede ist einzigartig und ganz individuell. Dennoch gibt es klare Dos and Don’ts. Sie sind entscheidend, ob das Krisenmanagement erfolgreich ist oder auf den Krisenfall der Reputationsverlust und Absturz einer Marke folgt.
Krise? Was heißt das?
Als Krise wird allgemein der Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Lage oder der entscheidende
Abschnitt in einer schwierigen Situation bezeichntet. Für Firmen können schwierige Situationen einen Reputationsverlust zur Folge haben der das Unternehmen schwer schädigt. Im schlimmsten Fall
führt ein Reputationsverlust in den wirtschaftlichen Ruin. Professionelles Krisen- und Reputationsmanagement kann helfen, genau das zu verhindern.
Vorab zusammengefaßt die 10 wichtigsten To Dos des Krisenmanagements:
1. Krisenmanagement ist immer Chefsache
2. Exzellentes Krisenmanagement benötigt „ein Gesicht“
3. Das Unternehmen behält stets die Nachrichtenhoheit
4. Ein gutes Krisenmanagement beginnt vor Eintritt eines Ausnahmezustandes
5. Gute Krisenkommunikation benötigt Vorbereitungszeit + nachhaltiges Training
6. Regelmäßige Krisensimulationen mit allen Beteiligten sind Pflicht
7. Dialogbereitschaft ist die als Voraussetzung für Glaubwürdigkeit
8. Kurze Reaktionszeiten beachten, aber bedacht handeln
9. Sprachregelungen und Zuständigkeiten aller Beteiligten festlegen
10. Krisenmanagement ist ein lebendiges und stetig „lernendes“ Projekt
Was diese zehn Punkte konkret bedeuten sehen wir gleich anhand der Beispiele.
Wie geht man als Firma damit um, dass viele Menschen durch die Nutzung eines unternehmenseigenen Beförderungsmittels zu Tode kommen können?
Jedes Transportunternehmen - vom Taxi- oder Busunternehmen bis hin zur Deutschen Bahn, von internationalen Schifffahrtsgesellschaften bis hin zu Airlines - sollte für den Fall, dass Personen durch das Unternehmen zu Schaden kommen können, Krisenszenarien vorbereiten. Bis zu diesem Punkt haben die meisten dieser Unternehmungen auch ihre Hausaufgaben gemacht.
Qualität des Krisenmanagements ist entscheidend
Die Qualität des Krisenmanagements, beziehungsweise der Krisenhandbücher und der Krisenkommunikation, ist jedoch sehr unterschiedlich. Dabei spielt es eine wesentliche Rolle, ob rein standardisierte Abläufe - vom sogenannten Krisenhandbuch über „War Rooms“, „Dark Sites“ und Social Media Kaskaden - einmalig eingekauft wurden und diese ungenutzt, in den Schubladen bzw. auf den Servern und bei der Belegschaft unbekannt, veralten. Die Qualität ist daran ersichtlich, wenn zusätzlich zu den Standard-Empfehlungen und Abläufen einfach formulierte individuelle Botschaften und detaillierte Szenarien entwickelt werden. Ein absolutes Muss ist die regelmäßige inhaltliche Weiterentwicklung und Anpassung der Botschaften und Szenarien sowie intensive und regelmäßige Trainings mit allen Beteiligten. Diesen doch Zeit- und Kosten-Aufwand zur Qualitätssicherung leisten sich viele mittelständische Unternehmen bislang jedoch noch nicht.
Regelmäßige Krisensimulationen bringen Sicherheit und Souveränität
Fluggesellschaften sind, ebenso wie andere Unternehmen mit sehr hohem Krisenpotential, im Idealfall auf Unglücksfälle sehr gut vorbereitet. Die intensive Szenarien-Planung möglicher Unglücksfälle, eine darauf abgestimmte minutiöse Prozessplanung sowie bis ins kleinste abgestimmte Prozessabläufe gehören in einer Branche mit hohem Risikopotential zum Soll-Standard. Ebenso wie regelmäßige simultane Krisentrainings mit sämtlichen Prozessbeteiligten. Inklusive der Chefs aus den Vorstandsetagen. Denn nur regelmäßige Trainings bringen Sicherheit und erzeugen Souveränität bei Abläufen.
Krisenmanagement im Sturzflug - am Beispiel einer Airline
Der Absturz eines Flugzeuges und der Tod vieler Menschen ist für alle von dem Unglück direkt Betroffenen eine Tragödie. Für die jeweilige Airline führt ein derartiges Unglück zudem oftmals zu
einem schweren Reputationsverlust der die Marke unwiderruflich schädigen kann.
Das Beispiel von Malaysia Airlines zeigt, wie unprofessionelles Krisenmanagement die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens drastisch verschlechtern kann. Nach dem Verschwinden des Fluges MH370 am 8. März 2014 und dem Abschuss des Fluges MH17 drei Monate danach über der Ukraine, geriet das Unternehmen in eine tiefe wirtschaftliche Krise ausgelöst durch einen massiven Vertrauensverlust der Börse und der Passagiere. Die Lage hat sich im Laufe des Jahres 2014 dramatisch verschärft. Das Unternehmen kämpft weiterhin mit Imageproblemen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete, dass die Fluggesellschaft im Kampf gegen die Krise sogar darüber nachdenkt sich von der Börse zurückzuziehen. Auch eine Namensänderung wird überlegt.
Die Verantwortlichen hatten bei dem Krisenmanagement in beiden Fällen schwere Fehler gemacht: Es gab niemanden aus der Geschäftsführung bei Malaysia Airline, der von Beginn an öffentlich die Verantwortung übernommen und als Gesprächspartner in der Wahrnehmung der Betroffenen, der Öffentlichkeit und der Medien zur Verfügung stand. Das Katastrophenmanagement und die Kommunikation wurden als intransparent und chaotisch wahrgenommen. Bei dem bis heute vermissten Flug MH370 wird rückblickend das Ausmaß der logistischen und kommunikativen Fehler deutlich. Wochenlang überschlugen sich täglich Meldungen über Ermittlungsergebnisse, die meist im Zeitraum von Stunden widerrufen wurden. Die Regierungen der betroffenen Länder äußerten sich abwechselnd, allesamt unstrukturiert, widersprüchlich und sichtlich nicht untereinander koordiniert. Bei Malaysia Airlines übernahm die Malaysische Regierung und dort unterschiedliche Ansprechpartner die Kommunikation. Teilweise wurden Meldungen und Berichte einfach nur verlesen. Für die unkoordinierte Informationspolitik, die Falschmeldungen und die unstrukturierte Suchaktion nach dem Verschwinden von Flug MH370 musste die malaysische Regierung viel Kritik einstecken. In dem zum Jahrestag des Unglücks vorgestellten, vorläufigen Bericht wird unter anderem die Kommunikation zwischen den beteiligten Luftfahrtbehörden in der Nacht des Verschwindens offengelegt. Der Report macht die Verwirrung der Beteiligten deutlich, die vor einem Jahr herrschte.
Vorstand im Wettlauf gegen die Zeit: Die Ausnahmesituation braucht ein Gesicht
Für Unternehmensführer ist eine derartige trotz guter Vorbereitung schwer zu bewältigen. Unternehmerische Entscheidungen, die zügig und dennoch überlegt getroffen werden müssen sind das eine. Viel wichtiger in den Augen der Angehörigen und der Öffentlichkeit ist jedoch die Frage nach der Verantwortlichkeit. Wer übernimmt die Verantwortung für das Geschehene? Psychologisch entscheidend ist hierbei auch der Faktor Zeit: je schneller gehandelt und informiert werden kann, desto besser. Existentiell für den Erfolg ist eine Person aus der Unternehmensführung, die ab dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Ausnahmesituation persönlich die Verantwortung für das Geschehen übernimmt und in der Öffentlichkeit Rede und Antwort steht. Diese Person, von deren professioneller Performance viel abhängt, sollte zuvor regelmäßige und idealerweise über Jahre hinweg Krisensimulations- und Medientrainings absolviert haben. Berücksichtigt man dies, ist bereits ein guter Soll-Standard der Qualitätssicherung erreicht. Aus Erfahrung kann ich berichten, dass auch introvertierte und von Hause aus eher unkommunikative Personen durch regelmäßige Medientrainings sichtbare Fortschritte erzielen können. Die Fälle in denen Vorstände und Verantwortliche, die untrainiert mit einer Ausnahmesituation konfrontiert werden, sich hinter schriftlichen Veröffentlichungen, einem Sprecher oder schlichtweg hinter eilig antrainierten leeren Worthülsen versteckten, gibt es jedoch noch immer.
Best Practice: Vorstand setzt neue Maßstäbe in der Krisenkommunikation
Es wäre auch für Carsten Spohr, seit Mai 2014 Vorstandschef der Lufthansa, ein Leichtes gewesen, die Verantwortung für den Absturz des Germanwings Flugs 4U9525 und die öffentlichen Auftritte an Thomas Winkelmann, Chef und Sprecher der Geschäftsführung von Germanwings, zu delegieren. Doch Spohr hat niemanden vorgeschoben. Er ist selbst in die vorderste Reihe getreten. Vor hunderte von Kameras und Mikrofonen. Immer wieder. Und hat sich dem Dialog gestellt, trainiert und gut vorbereitet. Spohr ist ein erfahrener Pilot. Er weiß, wie wichtig regelmäßige Simultantrainings sind. Es wird berichtet, dass er seine Pilotenlizenz mit Simulator-Trainings aufrecht erhält und regelmäßig an den Krisenkommunikationstrainings der Lufthansa teilnimmt. Seine Souveränität, vor Kameras und Mikrofonen aufzutreten, lässt sich sicherlich auf diese regelmäßigen Trainings zurückführen. In einer Extremsituation, wie sich der Lufthansa Chef in der letzten Woche befunden hat, keinen Fehler in der Tonalität der Ansprache zu machen und dennoch alle Betroffenen, Mitarbeiter und Angehörige, auch emotional zu berühren, all das setzt ein hohes Maß an Empathie voraus. Für seinen emphatischen und professionellen Einsatz hat der Lufthansa Chef ausnahmslos viel Anerkennung erhalten.
Unabhängig vom couragierten Einsatz ihres Vorstands-Chefs hat die Lufthansa in diesen Tagen bei ihrem Krisenmanagement alles richtig gemacht: Schnell und dennoch professionell reagieren, Verantwortung übernehmen, Aussagen treffen aber sich nicht an Spekulationen beteiligen, die Krise nicht kommunikativ eskalieren lassen. Und, einer der Key-Points für den Erfolg: die Nachrichtenhoheit lag stets beim Konzern selbst.
Krisenmanagement ist branchenunabhängig und existentiell
Bei den meisten Unternehmen geht es in Ausnahmesituationen nicht um Leben oder Tod. Der mediale Druck kann dennoch existentiell werden, wie am Beispiel der des enormen Reputationsverlusts des ADAC deutlich wird. Der krisengeschüttelte Verein hatte durch intransparentes Verhalten und unprofessionelles Krisenmanagement im vergangenen Jahr einen enormen Reputationsverlust erlitten. Die Skandalserie beim ADAC hatte Anfang des vergangenen Jahres mit der Enthüllung von Manipulationen bei der Leserwahl zum Autopreis Gelber Engel begonnen. Danach folgten weitere Enthüllungen etwa über die private Nutzung der Luftrettungs-Hubschrauber. Die Missstände kosteten den ADAC bislang rund eine halbe Million Mitglieder. Die im Dezember 2014 verabschiedete „Reform für Vertrauen“ soll dafür sorgen das verlorene Vertrauen der Mitglieder und der Öffentlichkeit in den skandalgeschüttelten Verein wiederherzustellen. Die Frage inwieweit das gelingen wird ist noch offen. Der zweitgrößte Automobilclub der Welt war auf den professionellen Umgang mit Ausnahmesituationen nicht vorbereitet. Erst als die Berichterstattung über verschiedenste Verfehlungen des Unternehmens bereits in vollem Gange war, suchte sich der Verein professionelle Unterstützung. Zu spät für die Entwicklung einer schnell greifbaren Strategie. Die Einzelmaßnahmen blieben weitgehend wirkungslos. Im Februar 2015 berichtete die SZ über neue Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Untreue bei einem ADAC Topmanager.
Professionelles Krisenmanagement ist keine Frage der Branche, Unternehmensgröße oder der Firmierung.
Es ist einzig eine Frage des Umsetzen-Wollens. Eine individuell für die Firma konzipierte Krisenkommunikation sollte Teil einer jeden Unternehmens- und Kommunikationsstrategie sein. Spezialisten für Krisenmanagement können mit ihrer Expertise hierbei eine wertvolle Unterstützung liefern.
Die 10 wichtigsten To-dos zum Thema Krisenmanagement
Unabhängig von der Branche oder Unternehmensgröße hier nochmals die 10 wichtigsten To-dos des Krisenmanagements nochmals zusammengefasst:
1. Krisenmanagement ist immer Chefsache
2. Exzellentes Krisenmanagement benötigt „ein Gesicht“
3. Das Unternehmen behält stets die Nachrichtenhoheit
4. Ein gutes Krisenmanagement beginnt vor Eintritt eines Ausnahmezustandes
5. Gute Krisenkommunikation benötigt Vorbereitungszeit + nachhaltiges Training
6. Regelmäßige Krisensimulationen mit allen Beteiligten sind Pflicht
7. Dialogbereitschaft ist die als Voraussetzung für Glaubwürdigkeit
8. Kurze Reaktionszeiten beachten, aber bedacht handeln
9. Sprachregelungen und Zuständigkeiten aller Beteiligten festlegen
10. Krisenmanagement ist ein lebendiges und stetig „lernendes“ Projekt
Anmerkung d. Autorin.: Die Autorin war oder ist in den vergangenen Jahren in keiner Weise für die in diesem Artikel benannten Unternehmen beratend oder im Rahmen von Krisenkommunikation tätig.
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Ulrich Welzel (Donnerstag, 02 April 2015 19:30)
Sehr geehrter Herr Miserre,
Sie sprechen mir aus der Seele. In den letzten Tagen wurden wir leider Zeuge von schlechtem Krisenmanagement bei der LH/GW. Aus meiner Erfahrung wird das wirtschaftliche Auswirkungen auf das Unternehmen von Seiten der Kunden wie Mitarbeiter haben.
Beste Grüße
Ulrich Welzel
Ulrich Welzel (Donnerstag, 02 April 2015 19:46)
Sehr geehrte Frau Miserre, entschuldigen Sie bitte die falsche Ansprache. Ihren Mann kenne ich. Da er diesen Artikel bei Xing gepostet hat, dachte ich, dass er die Seite betreibt. Sagen Sie Ihrem Mann trotzdem einen herzlichen Gruß.
Ihre 10 Punkte finde ich sehr gut.
Das KM der LH/GM war aus meiner Sicht eine Katastrophe. Leider waren vier Vorstände beteiligt. Das Wording, die Reihenfolge der Inhalte und die Körpersprache zeugten nicht davon, dass die von Ihnen genannten Punkte auch nur annähernd berücksichtigt wurden. Die Herrenriege hat in einer der ersten Stellungnahmen ungefragt zugegeben, dass sie nicht vorbereitet waren.
Viele Grüße
Ulrich Welzel
Bettina Miserre (Freitag, 03 April 2015 10:08)
Hallo Herr Welzel,
freut mich, dass Sie mit den 10 Punkten etwas anfangen können.
Leider geht aus Ihrem Kommentar nicht hervor, auf welchen Auftritt der Vorstände Sie sich beziehen. Die erste PK direkt nach dem Absturz war geprägt von großer Betroffenheit, darin stimme ich Ihnen vollkommen zu. Diese Betroffenheit war sehr authentisch und die Aussagen sehr bedacht. Der Vorstands-Chef der Lufthansa hat insbesondere für seine folgenden Auftritte sehr viel Lob erhalten. Nicht nur im Social Media Bereich sondern sogar in den sonst mit Anerkennung eher zurückhaltenden Medien wie der Süddeutschen Zeitung (Wirschaft Report, 28./29. März: Im Krisenmodus) und sogar in der taz.